Von Ferien und Totenschädeln
In etwa 30 Stunden nach Erscheinen dieser Zeitungsausgabe gibt es eine Menge erfreulicher Gesichter auf Uelzens Straßen Kreis-Uelzener Feld- und Waldwegen mehr. Es sind erfreuliche Gesichter nicht deshalb, weil es wandelnde Reklamen für die richtige Teint-Pflege oder das beste Haarshampoo sind. Vielmehr wird in gut 24 Stunden der Ausbruch derjenigen Schulferien diese Gesichter beherrschen, die seit jeher den Beinamen „die großen" (Ferien) tragen. Einschränkung: Die Gesichter werden zu denen gehören, die sich der Ferien freuen können. Die Voraussetzung dafür ist leider, dass die Zeugnisse „entsprechend" sind. Mancher Ferienbeginn ist gebunden an Väter und Mütter, die zu Hause lauern mit Bitterkeit und Strafe und kleinen oder großen Drohungen. Häufigster Irrtum, dem derlei Eltern und Kinder erliegen: Nicht der Schüler ist „mangelhaft/ungenügend". Die Leistung in einem Fach ist es und die ist keine psychologische Charakterbewertung. (Gott bzw. die Lehrer meiner Gören erhalten mir meine derzeitige souveräne Gelassenheit für den Fall, daß es bei uns Fünfen gibt...). Ab und an werden sich unter den zusätzlichen erfreulichen Gesichtern bei Kindern und Jugendlichen auch erwachsene Gesichter mischen. Das sind dann Lehrerinnen und Lehrer, die sich ebenfalls auf die Ferien freuen und darüber, daß sie den undankbaren Stress der Zensurenkonferenzen- und gebung hinter sich haben. Freuen wir uns mit ihnen. Allerdings mit Ausnahmen sollten wir uns mit Lehrern freuen. Zum Beispiel freut mich nichts an jenem Paukertyp offenbar ältester Prägung in einer ansonsten neuzeitlicher geführten Penne unseres Kreises. Der begann dies zu Ende gehende Schuljahr folgendermaßen: „Also“, waren seine ersten Worte vor den erwartungsvollen Gesichtern einer neugierigen und neu zusammengesetzten Klasse, die zum ersten Mal diese neue Schulstufe besuchte, also - ich gehe davon aus, daß Ihr alle in allen Fächern ungenügend seid. Dies erste Schuljahr in einer weiterführenden Schule ist Eure Chance, mir das Gegenteil zu beweisen.“ Feuerzangenbowlen-Stilistik oder das Klima des „Clubs der toten Dichter"? Leider war das der Beginn dieses schließenden Schuljahres. Den unsäglich leidenden Schülerinnen und Schülern dieser pädagogisch unsäglich geleiteten Klasse ist zu wünschen, dass sie es irgendwie schafften. Das mit dem Gegenbeweis, nicht ungenügend zu sein... Und, dass ihr Lehrer entweder bald frühpensioniert werden will. Oder nachstudiert, was Pädagogik sein kann. Aber solche Pädagogen-Untypen sind ebenso Ausnahme wie manche zu irre(geleiteten) Schüler, deren Lehrer ich auch nicht sein möchte, weil ich mich sonst auch nicht mehr kennen würde. Oder mich erst recht kennenlernen würde. Einer meiner eigenen erschöpften (und geliebten) Lehrer seufzte damals mehr ein Zitat, als dass er es zitierte: „Ich möchte heute noch den Totenschädel jenes Menschen streicheln, der die Ferien erfunden hat!" Seitdem habe ich den Totenschädel meines Vaters auf meinem Schreibtisch stehen (genauer: Schon auf dem Schreibtisch meines Vaters verstaubte dieser Totenschädel). Ich erinnere mich angesichts der würdigen Geistesknochen an Ferien. Morgen wird er mehrfache Streicheleinheiten bekommen, der Totenschädel meines Vaters (ich meine: Na, Sie wissen schon...)
20. Juni 1995